In unserem Alltag fahren und gehen wir durch Leipzig und sehen Leerstand an jeder Ecke. Gleichzeitig finden unsere Freund*innen keine Wohnung mehr im eigenen Kiez; fast nur noch Familien mit zwei Einkommen können neu nach Leipzig ziehen; der Wunsch nach der Wohnung alleine geht nur für die mit einem sehr gut bezahlten Job auf. Unsere Viertel verändern sich, Wohnen in Innenstadtnähe wird zur Mittel- und Oberschichtenbubble.
Kurz: Auf dem neoliberalen Wohnungsmarkt Optionen zu haben, ist für alle, die nicht reich sind, sau schwerer. Besonders hart trifft es die, die in unserer Gesellschaft sowieso diskriminiert werden: Der ‚falsche‘ Nachname oder der falsche Herkunftsort, das ‚falsche‘ Familien- oder Wohnmodell, das Angewiesensein auf möglichst wenig Barrieren – all das macht es für viele oft unmöglich, sich den eigenen Wohnort aussuchen zu können.
Dieser Mietenwahnsinn, die Verdrängung und Vereinzelung wären ohne die bestehende Polizei deutlich schwerer durchzusetzen.
Zwangsräumungen
Denn das Wohnen im Kapitalismus ist nicht einfach eine Frage des Wohnungsmarktes. Das will ich kurz am Beispiel von Zwangsräumungen verdeutlichen:
Der Wohnungsmarkt alleine räumt keine Besetzung und führt auch keine Zwangsräumungen durch. Die dreckige Handarbeit der kapitalistischen Verdrängung hängt an der Polizei. Sachsen ist in Deutschland ganz vorne mit dabei, was Zwangsräumungen angeht. Neun Zwangsräumungen täglich ist die Bilanz unserer Wohnungspolitik, die allermeisten davon werden vollstreckt auf Grund von Mietschulden – einfach weil sich die Menschen die Miete nicht leisten können oder weil Jobcenter oder Ausländerbehörden die Mieten nicht rechtzeitig überweisen. Und die Zahlen steigen. Waren es 2022 noch 2200 Zwangsräumungen im Jahr, so waren es im Jahr 2024 schon 2700 Zwangsräumungen in Sachsen. Davon alleine 675 in Leipzig. Das heißt: An jedem Wochentag werden in Leipzig zwei Mietparteien gewaltsam aus ihren Wohnungen geräumt!
Manchmal passiert das im Stillen, oft aber ist es die Polizei, die von den Gerichtsvollzieher*innen um Amtshilfe gebeten wird. Und wenn es nur die Drohung ist: Hinter jeder Zwangsräumung steckt die polizeilich abgesicherte Klassengesellschaft. Ein paar anschauliche Beispiele aus der jüngsten Zeit: Diesen Januar wurde in Berlin eine alleinerziehende Mutter mit ihren 7 Kindern zwangsgeräumt. Manche der Kinder lagen mit Fieber im Bett, als die Polizei in der Tür stand. Die Mutter leidet an einer chronischen Organkrankheit. Die Zwangsräumung wurde trotzdem nicht gestoppt. Die Familie hatte noch 20 Minuten, um einige Sachen zu packen, dann wurde das Schloss gewechselt und das Zuhause war verloren.
Ein zweites Beispiel: Im Juli wurde in Leipzig eine Familie zwangsgeräumt, ohne dass ihr überhaupt der Räumungstermin genannt worden war. Plötzlich stand die Polizei vor ihrer Türe. Der Einsatz endete damit, dass der Familienvater eine Platzwunde am Kopf hatte und die Mutter kollabierte. Vier Wochen später entschied ein Gericht, dass die Räumung illegal gewesen war. Aber eine Entschädigung bekam die Familie nicht. Zurück blieben traumatisierte Menschen. Diese Familie hatte einen Flüchtlingsstatus und das machte ihre Situation besonders prekär. Denn für anerkannte Geflüchtete hat die Stadt Leipzig keine Unterbringungspflicht mehr. Sie müssen aus der Unterkunft raus und auf dem ‚freien‘ Wohnungsmarkt etwas finden. Das betrifft rund 3000 der 6000 in Leipziger Unterkünften lebenden Geflüchteten. Doch den wenigsten gelingt das. Die Wohnungsnot steigt.
Gleichzeitig werden Zwangsräumungen brutaler. Man muss nur durch die Schlagzeilen der Presse scrollen, um den Eindruck zu bekommen, dass Zwangsräumungen zu einem polizeilichen Übungsfeld in der urbanen Aufstandsbekämpfung werden, SEK inklusive. Nachbarwohnungen werden vorsorglich evakuiert, ganze Straßenzüge stundenlang abgesperrt, Polizeiroboter und Polizeipanzer aufgefahren, Helikopter überwachen das Umfeld. Dass die Wohnungsfrage eine der Polizeitaktik ist, war nicht immer so. Erst mit dem Anwachsen des städtischen Elends im Kapitalismus des 19. Jahrhunderts wurde die Polizei zu einem Akteur auf dem Wohnungsmarkt. Bis dahin lag es an den Eigentümern selbst, ihre Mieterinnen rauszuschmeißen, was ihnen allerdings wegen Gegenwehr nicht immer gelang. Erst wegen dieses Widerstands wurde die Polizei ermächtigt, dem Kapitalismus unter die Arme zu greifen. Die düsterste Seite des Wohnens in Deutschland liegt natürlich in der Nacht des Faschismus. Juden und Jüdinnen wurde der Mietschutz entzogen, sie konnten jederzeit ihre Wohnung verlieren und waren verpflichtet bei jüdischen Eigentümern einzuziehen. Diese völlig überfüllten Häuser erleichterten später ihre Gefangennahme und Deportation in den Massenmord.
Widerstand
Es ginge auch anders, besser. In den 1920er Jahren räumte der Staat Wohnungen nur, wenn Ersatzwohnraum zur Verfügung stand. In der DDR konnten Wohnungseigentümer ihre Mieter*innen gar nicht selbst kündigen, sondern waren dafür auf Gerichte angewiesen, was die Sache deutlich komplizierter machte. Dies war auch das geschichtliche Ergebnis von heftigen Protesten und Mieter*innenaufständen. Denn seit es Wohnungsnot und Zwangsräumungen gibt, gibt es Widerstand dagegen.
Eine neue Bewegung gegen Zwangsräumungen bildete sich 2012, als die Kreuzbergerin Nuriye Cengiz einen Zettel an das Fenster ihrer Erdgeschosswohnung klebte, auf dem Stand: „Ich, Rentnerin im Rollstuhl, soll raus und will nicht!“ Es gründete sich das Bündnis gegen Zwangsräumungen und es kam zu spektakulären Blockadeversuchen, gebrochen nur duch massive Polizeigewalt.
Wir kennen auch andere Formen des Widerstands gegen Leerstand, Gentrifizierung und Verdrängung: nämlich Besetzungen. Auch hier zeigt sich die Polizei als eigenständiger Akteur unserer Klassengesellschaft. Denn die Polizei räumt Hausbesetzungen oft aus eigenem Antrieb und meint, damit eine sogenannte „Störung der öffentlichen Sicherheit“ zu verhindern. Aber unsere Sicherheit sind nicht jahrzehntelanger Leerstand und Wohnraum als Anlage- und Profitobjekt von Immobilienfirmen. Wir sagen: Leerstand ist eine Störung der öffentlichen Sicherheit! Verdrängung und Wohnungsspekulation sind Störungen der öffentlichen Sicherheit!
Was öffentliche Sicherheit ist und was eine Gefahr dafür, sind politische Fragen. Rechtlich gesehen, darf die Polizei beispielsweise Wohnungen beschlagnahmen, um der akuten Gefahr von Obdachlosigkeit entgegenzutreten – das ist ausdrücklich so geregelt. Davon hören und lesen wir allerdings nichts. Mit dem gleichen Recht, mit dem die Polizei für hohe Kosten Besetzungen räumt, könnte sie also auch Wohnraum zur Verfügung stellen. Das tut sie nicht. Denn in antilinker Tradition geht es ihr nicht um eine gute Ordnung für alle, sondern um die kapitalistische Ordnung. Es geht ihr nicht um die materielle Sicherheit aller Menschen, sondern um die Sicherheit von Privateigentum und Profit. Wie dumm das ist, merken Polizist*innen leider erst dann, wenn es für sie selbst zu spät ist und sie oder ihre Kinder sich keine Wohnungen mehr in Leipzig leisten können werden.
Wir wollen eine Gesellschaft, in der es allen Menschen mit Sicherheit gut geht. Wir wollen die Sicherheit eines Dachs über dem Kopf, wir wollen die Sicherheit langjähriger Nachbarschaften und die Sicherheit dort wohnen zu können, wo wir uns zuhause fühlen. Öffentliche Sicherheit heißt Wohnraum für Alle! Unsere Gefahr sind Wuchermieten, Leerstand und Wohnraum als Profitgeschäft!
Wir wissen, dass die Polizei uns bei der Herstellung dieser Sicherheit keine Hilfe sein wird. Im Gegenteil. Wer sich um die Sicherheit aller kümmert, kommt schnell mit der Polizei in Konflikt.
Meldet Euch bei uns, falls Ihr Stress mit der Polizei habt. Schreibt uns Berichte und Erfahrungen von Polizeigewalt, ihr könnt das anonym und verschlüsselt über unsere Homepage tun. Wir dokumentieren Polizeigewalt und wir beraten und unterstützen Betroffene.
Für solidarische Nachbar*innenschaften!


